AW Architekt des Jahres
AW Architekt des Jahres

AW Architekt des Jahres 2014: gmp Architekten

Datum22.01.2020

Sie gewinnen Wettbewerb für Wettbewerb, bauen auf vier Kontinenten und in ganz großen Dimensionen: Flughäfen, Bahnhöfe, Messen, Kulturzentren, Stadien. Ihr Erfolgsgeheimnis: Sie halten sich
an klassische Baumeister-Sitten. Unsere Leser haben „gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner“ unter drei von uns nominierten Büros als „A&W-Architekt des Jahres 2014“ gewählt.

Sie treffen sich an exponierter Stelle. In einer der attraktivsten Lagen Hamburgs. Das Bürohaus liegt an der Elbchaussee, der Besprechungsraum ganz oben in einem kreisrunden gläsernen Turm. Der Blick geht auf die Elbe, die Kräne und Hafenanlagen am anderen Ufer, die niedlichen Kapitänshäuschen unten in Oevelgönne, den Anleger Neumühlen, den historischen Eisbrecher und die Oldtimer-Segler im Museumshafen, den Volkwin Marg vor vier Jahrzehnten mit Gleichgesinnten begründet hat. Zu Füßen des Turms sieht man das Dach eines halb fertigen Privathauses für Meinhard von Gerkan. Seeschiffe mit überbordenden Containerladungen gleiten vorbei – Sinnbilder für florierende Exportwirtschaft und damit durchaus auch für die märchenhafte Erfolgsgeschichte des Architekturbüros am Elbhang.

Fünfzig Jahre wird das Büro „gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner“ nächstes Jahr. Längst ist es das größte deutsche Architekturbüro: fünf Partner, 500 Mitarbeiter, neun Standorte in Deutschland, China, Vietnam und Brasilien. Von Gerkan, 1935 in Riga geboren, und Marg, 1936 in Königsberg, haben ihre Kommandozentrale im Glasturm unter dem Konferenzraum. Und sie teilen sich ein Zimmer, seit ihre Berufs-Ehe existiert. Ähnlicher sind sie sich dabei nicht geworden. Marg wohnt im Altbau (gleich in der Nachbarschaft) hat privat keine Mail-Adresse, schreibt alles mit der Hand, liebt, saniert und sammelt Segel-Veteranen – jüngste Obsession: der Dreimastschoner „Activ of London“, Baujahr 1951. Meinhard von Gerkan, bekennender Bauhaus-Fan, schätzt mehr die Ist-Zeit, hat nach und nach vier Häuser für sich und seine Familie gebaut und verbrachte mit ihr viel Freizeit auf einer modernen Jacht. Beide entwerfen, indem sie zeichnen, der Computer kommt später. Alle Projekte sind zwischen ihnen aufgeteilt.

Klein angefangen haben die beiden nicht. Schon während des Studiums gewannen sie Wettbewerbe für andere Büros. „Da war noch Wiederaufbau-Rausch“, sagt Marg. Und alles ganz anders als im Software-Zeitalter. „Wir haben schöne Modelle gebaut mit Pappe und Balsaholz und getrockneter Schafsgarbe für die Bäume.“ Im Jahr des Diploms, 1965, feierten sie sieben Wettbewerbssiege – darunter, Urknall ihrer Erfolgsstory, den für den Flughafen Berlin-Tegel, sechseckig, nach dem neuen Prinzip des „Drive-in“. Im Konferenzraum trotzt das Ur-Modell mit inzwischen etwas flügellahmen Papierfliegern den neuen Zeiten – und ein Originalsessel, Leder und Chromstahl, den von Gerkan damals für Tegels VIP-Lounge entworfen hat.

Sentiments lassen die Bürogründer freilich nicht aufkommen. Genauso wenig wie Starallüren. Sie sind Pragmatiker. Macher. Und Sieger. Denn nachdem sie 1965 in Hamburg ihr Büro aufgemacht hatten, blieben Wettbewerbe ihr Lebenselixier – und ihr Auftragsgarant. Bis heute haben sie bei Wettbewerben 270 erste Plätze gewonnen. Die Wettbewerbe teilen sie unter sich auf, die Autorenschaft für die realisierten Bauten, insgesamt 340 weltweit, ebenfalls. In allen erdenklichen Funktionen und Größen, besonders oft in XXL. Verkehrsbauten vor allem. „Den größten Applaus bei den Leuten gibt es für die Flughäfen Hamburg und Stuttgart.“ In Hamburg gefallen die großzügigen Halbkuppeln der Hallen, in Stuttgart die Tragwerk-Stützen in Form stilisierter Bäume. In der Hauptstadt gab es Probleme: Der Flughafen Berlin Brandenburg – von gmp entworfen und gebaut – kommt nicht so recht an den Start, beim Berliner Hauptbahnhof, ebenfalls von gmp realisiert, wurden die Bahnsteig-Glasdächer verkürzt und wirken jetzt abgehackt, das Innere erlebt der Reisende als ein „graues Nichts“, wie von Gerkan es nennt, statt wie in seinem Entwurf vorgesehenen unter klassischen Gewölbedecken. Vor Gericht bekam der Architekt recht. Aber ändern wird sich wohl nichts mehr.

Marg schuf mächtige, lichte Messehallen in Leipzig und Frankfurt, arbeitet aber auch im kleinen Maßstab, in der Region, mit historischer Hamburger Backstein-Substanz. „Ich repariere gern – es macht Spaß, eine vorhandene Situation weiterzuentwickeln.“ Er kreierte das Einkaufszentrum Hanse-Passage, setzte dem Hof des Hamburg Museums eine Glaskuppel auf, funktionierte ein altes Kesselhaus zum Infozentrum der Hamburger Hafencity um und erneuerte, entnazifizierte und überdachte das Berliner Olympiastadion von 1936 zur Fußball-WM 2006.

Für ihren Berufsstand engagieren sich beide. Von Gerkan lehrte ab 1974 als Professor an der TU Braunschweig, Marg war vier Jahre Präsident des Bundes Deutscher Architekten BDA, bevor er 1986 Professor an der RWTH in Aachen wurde. Beide stellten ihre Arbeiten in Ausstellungen und ihre Gedanken zur Architektur in Büchern vor, „Architektur ist – natürlich nicht unpolitisch“ heißt eines von Marg. Er plädiert für verständliche Architektur, für Flexibilität und Dauerhaftigkeit der Nutzung, für ein Denken in Generationen. „Black Box BER. Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut“ betitelt von Gerkan sein jüngstes Buch. Es ist eine wütende Abrechnung mit dem systemischen Chaos bei öffentlichen Großbauten. Für junge Hoffnungsträger stiftete gmp die Academy for Architectural Culture (aac) in Hamburg – und baute dafür auch gleich eine Seefahrtschule aus den 30er-Jahren um.

Bei der eigenen Arbeit hält sich das Büro an ein knappes Glaubensbekenntnis: „Einfachheit, Vielfalt und Einheit, Unverwechselbarkeit, strukturelle Ordnung“. Das bezieht sich ausdrücklich auf die Grundforderungen an Architektur, die der Römer Vitruv schon im ersten Jahrhundert v. Chr. formulierte: Festigkeit, Nützlichkeit, Schönheit.

Sind die gmp-Chefs „wertkonservativ“? „Ein klares Ja!“ von beiden. Dekonstruktive Formen lehnen sie genauso ab wie maschinenähnliche Hightech-Bauten und allzu kargen Purismus, der gar keine Aussage mehr zulässt. Architektur darf für sie nicht modisch sein. „Keine Hingucker!“, sagt von Gerkan. „Alle großen Bauten sind primär geprägt durch strukturelle Ordnung – was wir machen, ist also Konstruktivismus, sozusagen – unverbrämt!“ Also zeitlos? „Ich wäre stolz darauf“, gesteht er, „wenn man mir das nachträglich bestätigen würde.“ Ist das schon das Erfolgsgeheimnis? „Architektur ist Auftragskunst“, sagt Marg, „wir sind abhängig – und anderen verantwortlich.“ „Wichtig sind Glaubwürdigkeit, Kontinuität der Haltung und Treue zum Bauherrn“, ergänzt von Gerkan.

Um die Jahrtausendwende entdeckte gmp China – und umgekehrt. „Damals fuhr man noch überall Fahrrad“, erzählt von Gerkan, „heute ist das auf Schanghais Hauptstraßen wegen der Unfallgefahr längst verboten.“ Ausstellungen und eine Interview-Folge im Staatsfernsehen machten das deutsche Büro mit den drei Buchstaben bekannt, ja populär. Und sie siegten wieder: 2003/2004 in China gleich bei zehn Wettbewerben. Damit begann ein regelrechter gmp-Bauboom: Bürogebäude, Messe- und Kongresszentren, Verkehrs-, Kultur- und Sportanlagen. Und schließlich eine ganze Stadt für, zunächst, 800000 Einwohner: Lingang, rund um einen runden See angeordnet, von von Gerkan konzipiert in konzentrischen Wellen, wie sie durch einen ins Wasser fallenden Tropfen entstehen. Planungen für China machen heute 50 Prozent der Büroarbeit aus. Im Fernen Osten ist gmp ein Markenzeichen geworden.

Und in China dürfen die Bauten auch Gefühle zeigen, zu Landmarks und Wahrzeichen werden. „In der chinesischen Kultur spielt alles Bildhafte eine besondere Rolle“, sagt von Gerkan, „nicht nur funktionale Qualitäten.“ So krönte er das Messe- und Kongresszentrum Nanning mit einer blütenartig gefalteten Kuppel. Über dem Maritim-Museum in Lingang bauschen sich, Metapher für die Zukunft als Hafenstadt, zwei riesige Segel. Und das am Wasser gelegene Grand Theater Chongqing bekam die Form eines Dampfers.

„In Deutschland wäre ich vorsichtiger“, räumt der Architekt ein, der sich hierzulande konsequenter an Raster, Rechteck, Reih und Glied hält. Das tat er auch bei seiner ehrenvollsten Aufgabe im Reich der Mitte, der Erweiterung des chinesischen Nationalmuseums am Platz des Himmlischen Friedens in Peking: mit geradlinigen Achsen und Fluchten und fast feierlich schlichten Hallen mit Kassettendecken.

Weltmeister ist das gmp-Team beim Fußball – genauer gesagt: beim Bau von Stadien für die diversen Europa-, Asien-, Afrika- oder Weltmeisterschaften. Da haben sie alle Konkurrenten abgehängt. Zwanzig, überwiegend von Marg konzipierte Bauwerke, sind es bisher. Er spricht selbstreflektorisch von „Kathedralen der hedonistischen Konsum- und Event-Gesellschaft“ und ihrer Bedeutung für die Selbstdarstellung der meist staatlichen Bauherren. Ortsbezug und Symbolkraft sind angesagt. Marg erzählt vom Stadion im südafrikanischen Durban mit einem mächtigen Bogen, der einen Regenbogen assoziiert. Vom Stadion in Warschau, das einem heimischen Weidenkorb ähnelt, mit „geflochtenen“ Fassaden in den Nationalfarben Rot und Weiß. Vom Stadion in Tripolis, das nun endlich gebaut wird und dem alten Stadtnamen Form gibt: Drei Halbbögen überspannen den Bau und vereinen sich in der Mitte. Neue Spielstätten für die WM in Russland 2018 sind im Gespräch.

Und wenn im Juni die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien angepfiffen wird, sind Ideen-Exporte aus dem Glasturm an der Elbe wieder voll dabei – mit drei neuen Stadien in Manaus, Belo Horizonte und Brasilia.

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